Ausführliche TV-Kritik„Alle singen Kaiser“ – nur Roland selber (fast) nicht…

„Alle singen Kaiser“ – nur Roland selber (fast) nicht… © ARD/JürgensTV/Dominik Beckmann

Das, was früher das „Frühlingsfest der Volksmusik“ war, wurde in den letzten Jahren einer Generalüberholung unterzogen – man muss sagen: mit viel Erfolg. Veranstaltungen wie Schlagerbooom und Schlagerchampions haben sich etabliert. Im Frühjahr hat man in den letzten Jahren unterschiedliche Aufhänger gefunden – im vergangenen Jahr hieß es „Heimlich!“, davor treffend „Schlagercountdown – das Premierenfest“ – auch das erfolgreich. Ein Gastbeitrag von Stephan Imming, Betreiber des Portals “Die Schlagerprofis”.

 

Viel Werbung für neue Alben anderer Künstler ohne Kaiser-Bezug

Das Frühjahrs-Fest 2019 hieß „Alle singen Kaiser“. Das ist eigentlich eine schöne Idee, einen der bedeutendsten deutschen Schlagerstars zu ehren – auch wenn es eigentlich keinen richtigen Anlass dazu gibt – kein runder Geburtstag, kein Bühnenjubiläum, nicht mal ein rundes Jubiläum hinsichtlich der Veröffentlichungen. Anlass ist eigentlich „nur“ die Veröffentlichung seines neuen Albums „Alles oder dich“ – und dafür wurde dann sogar das kaiserliche Konzert in der Westfalenhalle Dortmund um gut eine Woche nach hinten verlegt.

Das Motto „Alle singen Kaiser“ auszurufen, ist so gesehen gerade ohne Anlass auch schön – nur – dann muss man es auch durchziehen. Und es fing schon „lustig“ an – Florian Silbereisen, der seine Shows sonst gerne mal mit des Kaisers „Ich glaub, es geht schon wieder los“ startet, eröffnete die Sendung diesmal mit einem Udo-Jürgens-Song: „Mit 66 Jahren“.

Hätte man die Frühjahrssendung anders benannt, hätten sich die kritischen Stimmen vielleicht in Grenzen gehalten. Kathy Kelly stellte gleich zwei ihrer neuen Songs vor, Andrea Berg sang auch zwei ihrer neuen Lieder. Ross Antony machte Werbung für sein neues Album, Semino Rossi präsentierte sein neues Lied, vollkommen deplatziert war die Werbung für „Brenner“ usw. – also alles wie immer: Werbung der ewig gleichen Protagonisten und ein paar neuer Gesichter, die ausschließlich von großen Plattenfirmen kommen und meist nur wenig mit Schlager zu tun haben.

Kaum Weggefährten – lieber Werbung für ewig gleiche Gäste und „Lieblinge“

Von alten Weggefährten war (vielleicht abgesehen von Bernhard Brink und Michelle) weit und breit niemand zu sehen. G. G. Anderson hat in der BILD-Zeitung völlig zurecht darauf hingewiesen, dass er es war, der Lieder wie „Schachmatt“ und „Lieb mich ein letztes Mal“ (mit-)geschrieben hat. Warum durfte nicht er einen dieser Songs interpretieren? Die Antwort des verantwortlichen „Unterhaltungspapstes“ Michael Jürgens spricht Bände: „In der Show überraschen wir Roland Kaiser mit neuen, besonderen Versionen seiner größten Hits – nicht mit früheren Weggefährten.“ – damit ist nicht beantwortet, warum Oli. P „Lieb mich ein letztes Mal“ singen musste – hätte nicht auch G. G. Anderson eine neue Version des von ihm geschriebenen Klassikers bringen können?

Die Hauptperson des Abends betrat die Bühne nach 23 Uhr...

Roland Kaiser

© Schlager.de/Torsten Sobke

Dass die Hauptperson des Abends gegen 23.05 Uhr, fast drei Stunden nach Beginn der Show, die Bühne betrat, zeigt, wie stark (bzw. schwach) der Fokus auf Roland Kaiser im Vergleich zur Präsentation der willkürlich ausgewählten Sänger lag.... Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Roland Kaiser durfte von seinem neuen Album zwei Lieder singen – genau so viele wie Kathy Kelly.Was um Himmels Willen hat Kathy Kelly mit Roland Kaiser zu tun? Warum wird ihr für ihr neues Album genau so viel Platz eingeräumt wie dem Grandsigneur des deutschen Schlagers? Spielt hier vielleicht auch eine Rolle, dass Uwe Busse sie produziert – also der Mann, der auch die KLUBBB3-Schlager produziert?

Sinn hätte gemacht, Maite Kelly in die Show einzubinden – mit ihr hatte Roland seinen letzten ganz großen Superhit – okay, Maite stand in Wetzlar auf der Bühne und war deshalb verhindert – noch eine schmerzlich vermisste Weggefährtin – noch dazu eine, die eigentlich Dauergast bei Silbereisen-Shows ist…

Den Topact nach 23 Uhr zu präsentieren, ist nichts Neues bei einer Silbereisen-Show – das hat man bereits mit Helene Fischer bei den Schlagerchampions getan – ohne die Show „Alle singen Helene“ zu nennen (überspitzt gesagt)…

Warum schon wieder Ben Zucker?

Immer wieder und sehr gerne wird Wert darauf gelegt, dass mit Ben Zucker ein Star im Rahmen der Feste-Reihe gefunden wurde. Das ist ja gut und schön – nur – wer quasi in JEDER Silbereisen-Show mit dabei ist, der hat auch eine gewaltige Promo. Und: Mit Zucker gelang es, einen Star aufzubauen. Bei sehr vielen anderen Interpreten ist das bei weitem trotz ebenfalls massiver Promo nicht gelungen – Interpreten wie „Alina“, Anni Perka, Sarah Jane Scott und Franziska Wiese zeigen, dass bei weitem nicht jeder künstlich gehypte Act automatisch Erfolg findet. Vielleicht hält man deshalb so krampfhaft an dem einen Interpreten fest, bei dem der Aufbau mal geklappt hat?

Schielen auf junge Zielgruppe mit Sarah Lombardi?

Sarah Lombardi

© Schlager.de/Torsten Sobke

Ein neuer Name ist „DJ Herzbeat“. Der hat aktuell weniger als 400 Facebook-Likes. Zum Vergleich: G. G. Andrson hat 18.500 Likes auf seiner Facebook-Seite. Die Fanbase kann es also nicht sein, die „DJ Herzbeat“ in die Florian-Sendung gebracht hat. Seine Plattenfirma Universal dürfte da wohl hilfreicher gewesen sein – und Sarah Lombardi, die mit dem Berliner DJ zusammen aufgetreten ist – und vielleicht einen Gegenpol zu Piedro Lombardi darstellen sollte, der parallel bei DSDS zu sehen war. Ob die Rechnung aufgegangen ist, kann man so und so sehen: 7 Prozent in der Zielgruppe der bis 49-jährigen Zuschauer sind für Silbereisen-Verhältnisse ordentlich, andererseits lag DSDS bei weit über 18 Prozent…

Anhand des Beispiels Sarah kann man vielleicht ganz gut den Kritikpunkt ausmachen: Der Song „Weekend“ ist modern und toll produziert, der Auftritt war ein echtes Highlight der Show – auch die Tänzer haben das Lied toll aufgewertet, das war unterhaltsam und modern. Nur – es hatte nun wirklich NICHTS mit Roland Kaiser zu tun…

Kaisers persönliche Meinung uninteressant?

Wie man weiß, hat Roland Kaiser Songs im eigenen Repertoire, die er selber mag und manche, die er weniger gerne hat. So ist er absolut nicht von seinen „Sieben Fässern Wein“ angetan – trotzdem durfte auch dieser Titel nicht fehlen. Der Titel „Und wer küsst mich“ ist wohl auch nicht unbedingt des Kaisers Lieblingslied – er sprach vom „längst vergessenen“ Lied. Wobei die Performance von Michelle und Florian Silbereisen sehr originell und mal wieder perfekt inszeniert war – die selbstironischen Statements, dass man derzeit „keinen zum Küsen“ hätte inklusive…

Allerdings gab es auch Inszenierungen, die Kaiser gefallen haben – allen voran offensichtlich „Warum hast Du nicht nein gesagt“ von David Garrett – diese (Instrumental-)Version hat es Roland Kaiser offensichtlich Interviews zufolge sehr angetan.

Mehr Besinnung auf volkstümliche Wurzeln?

Neben den Jungs von voXXclub sorgten hauptsächlich Die Draufgänger aus Österreich für volkstümliche Stimmung – es tat der Show gut – „Cordula Grün“ und die imposante „Schachmatt“-Version sorgten für mächtig Stimmung in Leipzig. Vielleicht sollte man punktuell doch öfter mal auch (dosiert) auf die volkstümliche Vergangenheit setzen…

Einmal mehr Slapstick-GfK-Ermittlung

Mit ganz wichtigem Gesichtsausdruck betrat Dr. Mathias Giloth die Bühne. Dessen Fans wissen – wenn dem so ist, ist oft auch Slapstick-Alarm. Einmal mehr wurden die Fans nicht enttäuscht. Florian Silbereisen kündigte nämlich Folgendes an – wörtlich zitiert: „Es kommt noch eine kleine Auszeichnung hinzu, nämlich hat Dr. Mathias Giloth mit seinen Experten der GfK Entertainment ermittelt, dass kein anderer deutscher Schlagersänger so viele Alben in die Charts gesungen hat wie Roland Kaiser.“  In der Tat hat Roland Kaiser bemerkenswerte 33 Alben platzieren können – und damit „nur“ 32 weniger als Udo Jürgens – ohne Worte (die Rede war NICHT vom noch lebenden Schlagersänger oder dergleichen). Auch Howard Carpendale ist ganz aktuell noch einen Hauch vor Kaiser mit 34 Alben – einfach nur unfassbar…

Inszenierung zwar top – aber…

In Sachen „Inszenierung“ macht den Feste-Machern eigentlich keiner etwas vor. „Eigentlich“, weil es diesmal schon diskutable Auftritte gab – ob es eine gute Idee war, voXXclub gleich zu Beginn der Show in Bällebäder zu stecken, ist genau so diskutabel wie die Weinfässer, aus denen die Künstler ihre „Sieben Fässer Wein“ sangen.

Kritik diesmal auch von unerwarteter Stelle

Diesmal haben es Michael Jürgens und sein Team mit dem Rezept, einzig und allein auf persönliche Befindlichkeiten und Kontakte abzustellen, wohl so übertrieben, dass sogar Nachrichtendienste und Portale, die die genannten Kritikpunkte sonst nicht zum Thema machen, die Show zum Thema machen. Dass das Vollplayback in der Show nervt, darüber habe ich mit Verlaub nach fast jeder Show geschrieben. Zumindest bei einer Gala zum Thema Roland Kaiser ist sogar die BILD-Zeitung „irritiert“ und macht aus dem Vollplayback sogar eine Schlagzeile – gut so – endlich wird dieses Ärgernis mal im großen Stil zum Thema gemacht. Steter Tropfen höhlt hoffentlich den Stein. Es geht ja nicht darum, dass alle Interpreten live singen müssen – aber die, die es können, sollten es auch dürfen, damit es nicht zu Playbackpannen wie bei Superstar Andrea Berg kommen kann. (Die übliche Reaktion kam von Unterhaltungschef Dreckmann postwendend: Livegesang erfordere mehr Probenzeit. Bis heute ist es ein Wunder, wie Dieter Thomas Heck das vor 40 Jahren in der ZDF-Hitparade hinbekommen hat.)

Aber auch Focus und andere Blätter und sogar einige Schlagerportale zeigen sich diesmal ungewohnt kritisch. Es ist spannend zu sehen, ob man die Konsequenzen zieht und wenigstens vereinzelt Live-Gesang zulässt und auch mal eine Show ohne irgendeine(n) Kelly präsentiert oder einfach so weitermacht – mit diskutablen Quoten, die dann auch noch „schön geschrieben“ werden. 4,3 Mio. Zuschauer sind bei weitem nicht das, was man von Florian Silbereisen gewohnt ist.

Die Sache mit Karl Lagerfeld

Vielleicht war aber die ganze Sendung nur eine Hommage an Karl Lagerfeld. Dessen wohl berühmtester Spruch war bekanntlich „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Florian präsentierte die „Kaiser“-Show in einer (edlen) Jogginghose. Mit anderen Worten – einfach wieder Jeans oder Anzug herausgekramt, und schon geht es wieder aufwärts mit den „Festen“ – wir freuen uns jedenfalls schon auf die „Schlager des Sommers 2019“ und auf den „Schlagerbooom 2019“.

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